Geschrieben von Praktikantin Thamar
 - Uit in Enschede

Geheimnisse der Grenzstadt

Du schlenderst mal wieder durch Enschede und plötzlich fallen dir Kleinigkeiten auf, die du sonst immer übersehen hast: Was bedeutet dieses Wandbild, warum steht da diese Statue oder was hat es mit dem Fenster auf sich? Komisch... Thamar ist für uns losgezogen und hat die Stadt mal genauer unter die Lupe genommen! Hier sind die Geheimnisse von Enschede.

1. Das unsichtbare Fenster

Der erste besondere Ort befindet sich in der Mitte des Stadtzentrums. Hast du dir die Grote Kerk auf dem Oude Markt schon einmal ganz genau angesehen? Dann wirst du vielleicht ein kleines zugemauertes Fenster bemerkt haben. Um genau zu sein befindet es sich auf der Rückseite der Kirche gegenüber dem Glockenspiel. Obwohl es viele Geschichten über die Grote Kerk zu erzählen gibt, ist diese Geschichte eine ganz besondere:

Das ehemalige Fenster war mal ein sogennantes Hagioskop, ein Fenster in Augenhöhe, auch Leprafenster genannt. Es handelt sich dabei um ein kleines Kirchenfenster, ursprünglich ohne Glas, oft durch Eisen- oder Holzstangen gesichert, das den Blick auf den Altar ermöglicht. Im Mittelalter konnten Menschen, die keinen Zugang zur Kirche hatten, weil sie an einer ansteckenden Krankheit wie beispielsweise Lepra litten, durch dieses Fenster die heilige Messe mitfeiern und die heilige Kommunion empfangen. Nachdem Lepra besiegt wurde brauchte man das Fenster nicht mehr und es wurde zugemauert.

Fenster an der Grote Kerk - Uit in Enschede
Fenster an der Grote Kerk

2. In God we trust

2018 wurde ein riesiges Kunstwerk in Enschede errichtet. Es gibt viele Meinungen darüber wer oder was das sein soll und man muss auch sehr weit nach oben schauen um es zu erkennen, aber die Musikhochschule von Enschede hat nun eine 6 Meter große Statue auf dem Dach.

Sie wurde vom Künstlerduo Spacecowboys ursprünglich für die internationale Kunstroute entlang der Ijssel angefertigt und sollte einen Gott darstellen. Daher kommt auch der außergewöhnliche Name "In God we trust". Rob Kramer, Direktor der ArtEZ-Musikhochschule, sah darin den Musikgott Pan. Kramer dachte, dass das Kunstwerk ein schöner Blickfang für das Universitätsgebäude sein könnte. Die Skulptur ist sozusagen nach Enschede umgezogen!

Musikgott PAN auf dem ArtEZ Conservatorium in Enschede - Uit in Enschede
Musikgott PAN

3. Charakteristische Fenster

Ein weiteres Geheimnis von Enschede sind die bemalten Fenster des Theather Sonnevack.

1985 wollte der damalige Kulturstadtrat das alte Lagerhaus renovieren. Es stand schon seit einiger Zeit leer und in verschiedenen Fenstern fehlte das Glas. Dadurch hatten sich viele Vögel das verlassene Lagerhaus zum neuen Zuhause gemacht. Ein riesiges Wandbild mit Vögeln wurde damals als erstes in Erwägung gezogen, aber als sich der Künstler Gerrit Kerssies dem alten Gebäude annahm erschuf er die einzigartigen Fensterbemalungen.

Bunte Fenster des Sonnevanck in Enschede - Uit in Enschede
Sonnevanck

4. Figuren der Theathergeschichte

Ziemlich sicher hast du schon einmal die türkisen Figuren auf den Dächern und vor den Türen einiger Geschäfte in der Langestraat im Zentrum von Enschede bemerkt. Diese Statuen wurden in den '80ern von dem Künstler Jawik Krudde erschaffen.

Das Gebäude, das heute mehrere Geschäfte, Restaurants und den Kleinen Willem beherbergt, war früher ein Theater- und Konzertsaal. Es wurde 1889 erbaut und wurde erst nach einer Erweiterung und einem neuen Flächennutzungsplan zum Kino und Jahre später dann wieder zu einem Theater umgebaut. Um das zu feiern, wollte die Gemeinde einen besonderen Hingucker an der Fassade des Gebäudes haben. Aus der Idee von einem Hingucker wurden 25 türkise Statuen aus Polyester.

Wieder einige Jahre später, als ein neues Theater gebaut wurde, sollten die Statuen entfernt werden. Davon hielten die Einwohner Enschedes aber gar nichts, sie hatten sich an die schönen Figuren der Theatergeschichte gewöhnt und sie gehörten für sie schon längst zum festen Stadtbild. Noch heute leben die 25 Statuen in und um das Gebäude mit der traditionsreichen Geschichte.

Und wenn du mal wieder zufällig dort bist, vergiss nicht, mal hoch zu gucken!

Statuen an der Langestraat Enschede - Uit in Enschede
Statuen an der Langestraat

5. Einfach nur Steine

Höchstwahrscheinlich bist du schon oft darüber gelaufen ohne es zu wissen, aber auf dem Weg zum Oude Markt über die Marktstraat gehst du über die Reste eines der beiden Stadttore, die Enschede einst hatte. Auf dem Boden wurde der Belag so gewählt, dass die Steine den Grundriss zeichnen und erahnen lassen wie es hier früher einmal aussah.

Die Geschichte dazu ist, dass während des großen Stadtbrandes von Enschede 1862 ein Großteil des Zentrums abbrannte. Um die Stadt neu zu ordnen und zu erweitern, mussten die beiden Stadttore, das Eschpoort und das Veldpoort, abgerissen werden. Zur Erinnerung gibt es in der Marktstraat noch die Pflastersteine, die eines der Tore skizzieren sollen.

Wirf einen Blick auf den Boden, jetzt, wo du weißt wo du suchen musst, ist es leicht zu finden!

Veldpoort stenen Marktstraat Enschede - Uit in Enschede
Veldpoort auf der Marktstraat

6. Rein aus Anerkennung

Beim letzten Geheimnis ging es um den großen Stadtbrand von 1862, bei dem ein großer Teil der Innenstadt zerstört wurde, unter anderem auch die katholische Kirche gegenüber der Grote Kerk auf dem Oude Markt. 1931 wurde dann schießlich eine neue Kirche von den Architekten Valk und Sluijmer gebaut, die zur Jakobuskirche wurde.

Die Jakobus-Kirche verdankt ihren Namen dem Schutzheiligen Jakobus. Er war einer der Apostel Jesu und wird oft als Pilger mit einer Pilgermuschel, die auch Jakobsmuschel genannt wird, auf Hut und Brust dargestellt. Ab dem zwölften Jahrhundert ist dies das Zeichen der Pilger, die nach Santiago de Compostella in Spanien reisen (Friedhof des Jakobus).

Wenn du diese Reise von Enschede aus beginnen möchtest, kannst du von der Kirche St. Jakobus aus starten. Es ist also kein Zufall, dass über dem Eingang der Jakobuskirche eine Pilgermuschel hängt!

Muschel an der Jacobuskerk - Uit in Enschede
Muschel an der Jacobuskerk

7. Die Trennung von Twente und Münster

Das Wappen von Enschede ist an der Wand des Rathauses im Stadtzentrum zu sehen. Natürlich, ist ja logisch. Wissen wir alle, haben wir alle schon mal gesehen.
Aber weißt du auch, dass Enschede zuerst ein anderes Wappen hatte? Warum hat Enschede nun ein neues Wappen und was bedeutet das alles?

Enschede erhielt 1325 die Stadtrechte, eines der Rechte war die Verwendung eines Stadtsiegels. Dies war ein Siegel mit dem Pfarrheiligen der Stadt, dem heiligen Jakobus der Ältere. Dieses Siegel war bis 1666 in Gebrauch, bevor 1670 ein neues Siegel ausgestellt wurde. Enschede erhielt ein Wappen mit einem Zaun darauf, das für die Trennung zwischen Twente und Münster stand. Im Jahr 1819 wurde Enschede per königlichem Erlass offiziell das Wappen verliehen. Im Laufe der Jahre gab es eine Reihe von Änderungen, aber im Allgemeinen ist es gleich geblieben.

Wappen am Rathaus - Uit in Enschede
Wappen am Rathaus

8. Geschichte in Glas

Höchstwahrscheinlich bist du auch schon öfter daran vorbeigegangen, ohne es zu sehen, aber an der Seite des Rathauses befinden sich sieben große Glasfenster aus Bleiverglasung. Das sind aber nicht einfach irgendwelche Fenster, sie wurden von A.J. Grootens entworfen und stellen alle etwas anderes dar:

Das mittlere Fenster ist Enschede als moderne Industriestadt, die vier Fenster darum, auf jeder Seite zwei, repräsentieren die vier Elemente: Wasser, Erde, Luft und Feuer. Das Fenster ganz links ist die alte Heimindustrie in Twente mit einem Bild von Herman van Lochem (der erste in Enschede, der Baumwolle als Rohstoff verwendete) und das Fenster ganz rechts ist die moderne Textilindustrie mit einem Porträt von Edo Bergsma (einem alten Bürgermeister).
Die Fenster erzählen tatsächlich die Geschichte von Enschede!

Fenster am Rathaus - Uit in Enschede
Fenster am Rathaus

9. Einfach vergessen

Wenn du von der Marktstraat in die Walstraat gehst, hast du vielleicht mal bemerkt, dass es dort etwas gibt, das sicherlich nicht aus dieser Zeit stammt: Es ist ein Tor mit einem eher charakteristischen Aussehen.
Zuerst dachte man, dass das Tor gar nicht so alt sei, aber nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein: Untersuchungen haben gezeigt, dass es wahrscheinlich aus dem 17. Jahrhundert stammt. Daraus muss man schlussfolgern, dass das Tor eines der wenigen Überbleibsel von vor dem großen Stadtbrand von 1862 ist. Weitere Überreste sind die Grote Kerk und das Van Deinsehuis aan De Klomp.

Da das Tor immer als "normales" Gartentor angesehen wurde, hat niemand wirklich darauf geachtet. Glücklicherweise wurde es schließlich irgendwann bemerkt und das Tor hat seinen wohlverdienten Status eingefordert. Im vergangenen Jahr wurde das Tor auch einer größeren Wartung unterzogen, unter anderem wurden die Sandsteinsäulen verankert, eine neue Sandsteinkugel angefertigt (eine ging verloren) und einige Wandteile wurden wieder verputzt. Seit 2019 ist das Tor ein offizielles Stadtdenkmal.

Historisches Gartentor - Uit in Enschede
Historisches Gartentor

10. Sehr schnell wieder zu klein

Bereits 1667 war in Enschede von einer jüdischen Bevölkerung die Rede. Die Zahl der Juden wuchs in den folgenden Jahren langsam an. Im Jahr 1748 wurden die Synagogengottesdienste in einer Privatwohnung abgehalten. Nach der bürgerlichen Gleichstellung 1976 stieg die Zahl der Juden in Enschede an. Daher zogen die Gottesdienste in einen gemieteten Raum an der Walstraat um. Dieser Raum war bald zu klein und 1834 wurde an der Stadsgravenstraat eine Synagoge eröffnet. Dieses Gebäude wurde teilweise von der nichtjüdischen Bevölkerung finanziert. Leider zerstörte der Stadtbrand von 1862 die Synagoge. 1885 weihte die Gemeinde eine neue, größere Synagoge an der Stadsgravenstraat ein. Auf der linken Straßenseite wurde eine jüdische Schule gebaut.

In der zweiten Hälfte des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts wuchs die jüdische Bevölkerung von Enschede so stark an, dass eine größere Synagoge gesucht wurde. Am Donnerstag, dem 13. Dezember 1928, wurde die schöne Synagoge an der Prinsestraat eingeweiht und in Betrieb genommen. Das Gebäude wird auch heute noch genutzt. Lesen Sie hier mehr über die Synagoge in der Prinsestraat.

Seit 1868 wurde die Synagoge an der Stadsgravenstraat nicht mehr genutzt. Nach dem Bau der Synagoge an der Prinsestraat wurde diese Synagoge abgerissen, aber die Fassade der jüdischen Schule existiert noch heute. Das Gebäude ist heute ein städtisches Denkmal.

Im Jahr 2014 erhielt die ehemalige jüdische Schule neue Fenster, die von der Künstlerin Annemiek Punt hergestellt wurden. Sie ließ sich von einem Text aus der Thora inspirieren:

"Wählst du das Leben oder wählst du den Tod? Und wenn du dich für das Leben entscheidest, wie machst du das?"

Jüdische Schule in Enschede - Uit in Enschede
Jüdische Schule in Enschede
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Thamar
Praktikantin

Thamar ist vor 4 Jahren für ihr Studium von Rotterdam nach Enschede gezogen. Sie liebt das Unbekannte und geht gerne auf Entdeckungsreise.